Ken Melch Hutt - Spickzettel 📄



🌐

Als ich klein war, saßen wir samstags um halb vier immer irgendwo zusammen und hörten die Bundesliga im Radio. Kleine Jungs, große Jungs, alle fußballverrückt.

Was war das schön: "Tor in Dortmund", "Elfmeter auf Schalke", "Tor gegen die Bayern", riefen die Reporter durcheinander ins Mikrofon. Und wir Jungs saßen da, jubelten, waren auch manchmal traurig, aber meist zufrieden mit der Welt.

Zwischendurch wurde Musik im Radio gespielt, die neuesten Lieder aus der Hitparade.

Damals (1966) gab es einen großen Hit von "Herman's Hermits" aus England.
Den hörten wir oft zwischen dem Fußball. Sie sangen: "No milk today".

Ich verstand kein Wort und fragte einen großen Jungen, was das bedeutet.
Er antwortete trocken: "Keine Milch heute".

Ich war begeistert, denn ich verstand: "Keine Milch-Häute".

Damals holten wir die Milch nämlich frisch gemolken in einer Blechkanne bei Nachbarn, bei denen noch eine Kuh im Stall stand.

Obendrauf schwamm immer eine Schicht Schmand; die hieß "de Hutt" (die Haut).
Ich hätte spucken können, wenn ich das auch nur gesehen habe.

Und noch mehr, wenn die Oma zu Hause einen Löffel nahm, und das eklige Zeug direkt aus der Kanne gegessen hat.

"Keine Milch-Häute" - das klang in meinen Ohren fast so schön wie das Glöckchen am Weihnachtsbaum.
Daher habe ich das Lied auch oft gesummt oder gepfiffen.

Nur geholfen hat das nicht:

Die Milch kam weiterhin direkt von der Kuh, die "Hutt" war immer noch oben drauf, die Oma aß immer noch aus der Kanne und ich wollte immer noch speien. 
Bis heute kann man mich mit allen Arten dieser weißen Brühe sonst wo hin jagen.

Aber die Bundesliga samstags um halb vier, die gucke ich immer noch.
Und trinke dabei lieber zwei Flaschen Bier als auch nur einen Schluck Milch.

 



© Thomas Hölzer 2018-2021, Alle Rechte vorbehalten 
Impressum   Datenschutz

Version 3.08  -  🔵 Blo Wonner