"Sejerlänner Platt" klingt in den Ohren vieler Leute altbacken, hinterwäldlerisch, rückwärtsgewandt.
Bestenfalls wie eine Mundart, die eine "gute alte Zeit" romantisiert, die es nie und nirgendwo gegeben hat.
In der Tat existieren viele Veröffentlichungen in der traditionell konservativ dominierten Siegerländer Medienlandschaft, die diesem Vorurteil Vorschub leisten.
Es sei z. B. nur an die "Rimmcher on Schnürjelcher, zesahmegestallt" von Dr. Lothar Irle erinnert.
In diesem durchaus lesenswerten Büchlein finden sich zum Teil echte alte Mundart-Perlen.
Der "Zusammensteller" selber war jedoch ein aus Niedersetzen stammender rassisch-völkischer "Heimatforscher", bekennender Antisemit und überzeugter Nazi. Hier und da wird er heute noch als Nestor der Siegerländer Heimatgeschichte angesehen; eine Straße in Siegen ist nach ihm benannt.
Nein, in solchen Spuren mag ich kein "Platt" und keine "Heimat", sondern "parteilich" anders.
"Parteilich" freilich nicht im Sinne einer politischen Partei, wobei auch politische Themen kein Tabu sind. Einschließlich dunkler Seiten und Zeiten der heimatlichen Geschichte und Gegenwart.
Auch soll hier und da versucht werden, aus einer Perspektive "von unten" auf die "Heimat" zu schauen.
Nur einige wenige Beispiele:
Wie etwa empfinden Menschen hinter Schloss und Riegel das, was wir "Heimat" nennen?
Wie erleben es Menschen, die aus einer fernen Heimat gekommen sind, um hier zu leben und zu arbeiten?
Oder wie geht "man" damit um, dass es in der "Heimat" z.B. auch sog. "unanständige Ecken" gibt?
Meiden, verschweigen, verdrängen?
Deshalb finden sich u.a. auch Texte zu den Themen "Knast" und "Prostitution".
Dabei kann (und muss) es dann sachlich und sprachlich auch mal "deftiger" zugehen.
Auch diese (und noch vlele andere mehr) sind Aspekte von "Heimat".
Nicht nur Sprach- und Traditionspflege, so schön und wertvoll diese auch sind und so sehr ich mich beidem verbunden weiss.
Schließlich und nicht zuletzt: Diese "Platt-Form" will und wird auch im Blick auf manche kirchlichen und/oder religiösen Phänomene und Fragen weder über- noch unparteilich sein, sondern sagen, "was Sache" war und
in manchen "frommen" Kreisen immer noch ist.
"Platt" ist alles andere als von gestern. Mit der Norddeutschen Ina Müller gesagt: "Platt is nich uncool."
Im Siegerland war und ist es vor allem und zuerst die Sprache der sog. "klei Lü", der Arbeiter, Bauern, Angestellten usw.. Aber durchaus auch die Sprache vieler sogenannter "bessergestallte or vornemme Lü", die sich über "das Gewöhnliche" nicht erhaben fühl(t)en.
Kurzum: "Platt" ist die Sprache all derer, die ihre Heimat und deren Zungenschlag lieb(t)en.
"Heimat" sei auf dieser "Platt-Form" immer inklusiv und nicht exklusiv verstanden. Weit entfernt von jedem chauvinistischen oder gar "rassischen" oder "völkischen" Wahn oder Unterton.
Um es anhand von zwei persönlichen Beispielen zu sagen:
Für mich ist und bleibt "Platt" zuerst die Sprache meiner Oma.
Als "einfache" Frau und Christin war sie entschieden gegen "Rechts" - erst recht gegen die Nazis.
Zumindest hinter vorgehaltener Hand - nicht mehr, aber immerhin auch nicht weniger.
Als Jugendlicher war es für mich ein Schlüsselerlebnis, als ich bei einem Gesprächsabend einmal neben
Hugo Herrmann (1898-1993) saß.
Der von den Nazis vielfach gepeinigte, aus seiner Heimat gejagte und später aus Israel zurückgekehrte letzte Überlebende der Jüdischen Gemeinde Siegen, der hochbetagt in Siegen verstorben ist.
Ich hatte zuvor schon von ihm gehört, erkannte aber zunächst nicht, neben wem zu sitzen ich die Ehre hatte.
Und dann sprach er - u.a. auch mit mir.
Mit einem derart unverkennbaren Zungenschlag, dass ich es ein für allemal begriffen habe:
"Dat es on dat woar on dat blibt emmer einer va oos - en Sejerlänner, wie e sech gewäsche het."
